Produktivgenossenschaften der Zukunft
Konrad Bechler und Matthias Steinke, 19.11.2024- # genossenschaft
- # wertschöpfung
- # nachfolge


Am 11. November 2024 machte unser zweiter Kollaborativer Salon die BECHLER Kollaborationsberatung für einen Abend zum Zentrum des deutschsprachigen Genossenschaftswesens. Unter der Überschrift „Der Mythos der Produktivgenossenschaft“ brachten wir führende Expert:innen und Praktiker:innen zusammen, um die aktuellen Herausforderungen und Chancen für Genossenschaften zu diskutieren. Im Mittelpunkt der von Konrad Bechler moderierten Hybridveranstaltung stand das gemeinschaftliche Wirtschaften „auf Augenhöhe“, einschließlich der Chancen und Herausforderungen von Gemeineigentum und kollektiver Entscheidungsfindung. Dahinter stand die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit Produktivgenossenschaften ein zukunftsfähiges Organisationsmodell darstellen können.
Der Kollaborative Salon wurde von zwei Impulsvorträgen eröffnet. Zunächst stellte Frau Prof. Dr. Heike Walk, Professorin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, ein Forschungsprojekt zur Unternehmensnachfolge/Unternehmensfortführung in KMU im ländlichen Raum (hier: Barnim/Uckermark) vor: Inno4Ufo. Anschliessend beschrieb Dr. Norbert Rückriemen vom Prüfungsverband für kleine und mittelständische Genossenschaften (PkmG) die grundsätzliche Flexibilität des Genossenschaftsgesetzes und möglicher Modellvarianten.
Zukunftsfähige Organisationsform?
Viele Mitglieder von Produktivgenossenschaften und Menschen mit langjähriger genossenschaftlicher Erfahrung waren vor Ort und online dabei und brachten in der anschließenden Diskussion viele Lösungsansätze zum Nachahmen und Ausprobieren mit. Das Themenspektrum reichte von Mitarbeiterbeteiligung und Entlohnungsmodellen in egalitären Strukturen bis hin zur Anwendung soziokratischer Methoden im genossenschaftlichen Kontext. Einig waren sich alle Teilnehmer:innen über die grundsätzliche Eignung der Produktivgenossenschaft nicht nur als zukunftsfähige Organisationsform, sondern sogar als „Werkzeug“ für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und die konstruktive Begegnung der Demokratiekrise.
Zunächst wurde festgestellt, dass das genossenschaftliche Modell weder bei den Unternehmer:innen noch bei den Mitarbeitenden hinreichend bekannt ist. Das Potenzial von Produktivgenossenschaften als mögliche Lösung für die deutsche „Nachfolgeproblematik“ wird schon aus diesem Grund wenig wahrgenommen. Dazu tragen auch gesellschaftspolitische Vorurteile gegenüber Genossenschaften bei, die im Osten aus den Erfahrungen der Zwangskollektivierung in der DDR, im Westen aus der Assoziation des Genossenschaftswesens mit dem Sozialismus herrühren. Auch hier kann Aufklärung helfen, diese Vorurteile abzubauen. Positive Beispiele erfolgreicher Genossenschaftsgründungen sollten stärker sichtbar gemacht werden. Dies würde auch Gründer:innen helfen, die Genossenschaft als Gesellschaftsform „auf dem Schirm“ zu haben. Entrepreneurial Think Tanks und Social Business Inkubatoren, Gründerzentren etc. würden davon erheblich profitieren.
Der Kollaborative Salon hat gezeigt, dass Produktivgenossenschaften gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Wandels und der Suche nach nachhaltigen Geschäftsmodellen eine wichtige Rolle spielen können. Produktivgenossenschaften bieten eine Wirtschaftsform, die auf Kooperation, Flexibilität und gemeinsame Verantwortung setzt. Die Diskussion zeigte, dass Genossenschaften nicht nur ein alternatives Geschäftsmodell sind, sondern eine zukunftsfähige Möglichkeit, Unternehmen resilienter und sozial verantwortlicher zu gestalten.
Strukturelle Herausforderungen
Neben dieser grundsätzlich optimistischen Perspektive wurden auch einige Bereiche diskutiert, in denen Produktivgenossenschaften vor strukturellen Herausforderungen stehen. In der - teilweise schon wieder vergessenen - Genossenschaftsforschung werden immer wieder Themen wie Machtakkumulation trotz demokratischer Grundordnung, Verlust der Arbeitsmotivation im Kollektiv, Geldverteilungskonflikte, Kündigungsschwäche in Krisenzeiten und das berühmte „Transformationsgesetz“, nach dem erfolgreiche Genossenschaften ihren Mitgliederbestand nicht mehr erneuern, angesprochen. Diese Probleme waren den Anwesenden zumindest teilweise bekannt. Sie konnten aber gleichzeitig auch Lösungsansätze aus der eigenen Erfahrung anbieten, die es wert wären, auch wissenschaftlich untersucht zu werden.
Genossenschaft und Organisationsdesign
Kern vieler Lösungen war, dass innerhalb der genossenschaftlichen Struktur ein Organisationsdesign jenseits hierarchischer Formen notwendig ist. Hier haben viele der vertretenen Unternehmen Kreisstrukturen etabliert, die sich direkt oder indirekt auf die Soziokratie beziehen. Im Kontext von Genossenschaften sitzen dann Vertreter:innen der Kreise im Vorstand, die die unterschiedlichen Funktionen der Organisation repräsentieren und eine besondere Art der Entscheidungsfindung und Wahl pflegen. Hier ergeben sich Unterschiede zur traditionellen Struktur einer Genossenschaft, die die Wahl des Vorstandes der Generalversammlung oder einem Aufsichtsrat überlässt, der ebenfalls der Generalversammlung untersteht. Dieser Vorstand wird bei Genossenschaften zwar zumindest indirekt gewählt, bestimmt dann aber allein die Organisationsstruktur. Dies steht im Widerspruch zu soziokratischen Strukturen, in denen sich das „Führungspersonal“ aus der Arbeit innerhalb der Struktur ergibt. Es gibt zwar verschiedene Vorschläge und Ansätze, wie die Organisationsstruktur der Genossenschaft und die Soziokratie rechtlich in Einklang gebracht werden können, aber noch keine etablierten Lösungen.
Fazit
Im abschließenden Fazit zur Stärkung der Produktivgenossenschaftsidee wurde einerseits betont, dass es immer noch erstaunlich ist, wie wenig Wissen über demokratisches Wirtschaften in einer demokratischen Gesellschaft vorhanden ist. Bildung und Ausbildung in Schulen, Universitäten, Think Tanks und Industrie- und Handelskammern sind notwendig, um dieser Form demokratischer Kooperation wieder eine größere Verbreitung zu ermöglichen. Dazu gehört dann auch eine klare Ausrichtung der Genossenschaft auf Aspekte wie Steigerung der Wertschöpfung, Innovationsfähigkeit, Krisenresilienz sowie die dynamische Anpassung der Führungsstruktur.
Was bleibt?
Bleiben die großen Fragen: Was bedarf es, um aus Mitgliedern Unternehmer:innen zu machen? Woher kommt der Mut, Dinge anders zu machen, neue Vergütungsmodelle zu wagen und z.B. bei langwierigen Abstimmungsprozessen den Humor nicht zu verlieren?
Unser Fazit: Produktivgenossenschaften sind „mega“, aber das reicht noch nicht! Unser nächster Schritt ist es, rechtskonforme Lösungsvorschläge für eine Annäherung von Soziokratie und Genossenschaft zu erarbeiten. Stay tuned!
Vielen Dank an alle, die dabei waren! Hier einige der Teilnehmer:innen (sorry an die, die wir nicht finden konnten ...).
Konrad Bechler Dr. Norbert Rückriemen heike walk Marc Tort Bielefeld Sonja Maier ThoMi Bauermeister Claudia Henke Julia Kliemann Manuel Ott Julia Kontor Walter Herter Heiko Schrader Sophia Breth Jitka Tessnow Julia Helm Mathias Fiedler Manuela Grundner Kalle Bendias Sophia Krebber Dr. Hermann Falk Thomas Kliemt Wolfgang Bender Burghard Flieger Rupay Dahm Lila Nettsträter Harry Keller